„Bold move“ im Marketing? Freshfields erfindet sich neu
Eine der weltweit bedeutendsten Wirtschaftskanzleien hat ihren Markenauftritt radikal überarbeitet – diese Ankündigung hat, befeuert vom Go-Live der neuen Freshfields-Website kurz darauf, in der überschaubaren Rechtsmarkt-Branche ungewöhnlich intensive Diskussionen ausgelöst.
Unter den Reaktionen waren auffallend viele rat- bis fassungslose Stimmen. Meinen die das ernst? Oder ist es nur ein „Erlkönig“ – in der Automobilsprache der für neugierige Fotojournalisten unansehnlich getarnte Prototyp eines neuen Automodells? Das wirkliche neue Freshfields-Logo, so hoffte mancher, würde demnach erst später veröffentlicht, und dann könnten alle aufatmen.
Andere amüsierten sich, der neue Schriftzug eigene sich super als Marke für Skikleidung, passend zum neuen Startseiten-Bild der Kanzlei mit zwei Bergwanderern auf schneebedeckter Kammhöhe. Nicht ohne Hintersinn wurde auch auf die verblüffend ähnliche Logo-Typografie eines französischen Produzenten von Luxus-Küchentöpfen hingewiesen. Oder sachkundig an die Luxuslabel Burberry, Saint Laurent und Fendi erinnert, die in der Tat alle vor einiger Zeit ihre Marken zu serifenlos-nichtssagenden, dafür global kompatiblen Großbuchstabenreihen eingedampft haben – wie nun auch Freshfields? Als „Blanding“ (englisch: fade/öde, statt „Branding“) verballhornten die stets sprachinnovativen UK-Journalisten dieses Phänomen.
Trotz natürlich auch vieler schulterklopfend-lapidarer „Congrats“, „I like“ und „Well done Freshfields“-Reaktionen: Begeisterte Presse für eine neue, frische Weltmarke in der Anwaltsbranche sieht anders aus.
Umso mehr lohnen das Was und das Wie dieses „Brand Refresh“, wie Freshfields den Schritt selbst harmlos nennt, einen tieferen Blick aus Marketingsicht. Allein um die oft ratlosen Reaktionen einzuordnen. Denn dieser Refresh gleicht in Wahrheit einem Rebrand: Er bedeutet nicht weniger als die komplette visuelle Neuerfindung eines Marktführers. Und das mitten im laufenden Geschäft – gefühlt eine Operation am offenen Herzen einer Weltmarke.
Worum geht es?
Freshfields gab am 24. September einen für Oktober bevorstehenden „Brand Refresh“ ihres Marktauftritts bekannt. So weit, so undramatisch. Auch andere Kanzleien haben ihr Erscheinungsbild jüngst modernisiert, vereinfacht, „erfrischt“ – für ein klareres Profil, bessere Visibilität und einen smarteren Eindruck. Zum Beispiel:
- A&O Shearman Deutschland (post-merger, aus ehemals Allen & Overy und Shearman & Sterling)
- Baker McKenzie (nun ohne „&“)
- HEUKING (nun ohne „Kühn Lüer & Wojtek“)
- orka (aus „Orth Kluth“)
Doch bei Freshfields war Beobachtern schnell klar: Da wird offenbar ALLES neu – und vor allem sehr ANDERS. Name, Logo, Schriftzug, Website. Typografie, Farben, Formen, Kernbotschaften. Eine Revolution!
“Make bold moves”/“Mutige Schritte wagen“. Diesen Leitsatz gab Freshfields dem neuen Auftritt als Interpretationshilfe mit. Auf der Website ist neben diesem Satz auch das erwähnte Leit-Bild mit den Bergwanderern in eisiger Höhe zu sehen.
Welche Strategie treibt den Freshfields-Move?
In dem neuen Slogan klingt die aktuelle Strategie der Firma in den USA an. Nach dem Motto „Nicht kleckern, klotzen“ investiert man seit einigen Jahren mit Nachdruck in Wachstum und Präsenz in diesem Schlüsselmarkt der Anwaltsbranche. „If I can make it there, I’ll make it anywhere“ – mit dem Sinatra-Zitat hat sich schon manche europäische Kanzlei selbst Mut gemacht – doch auf Spitzenniveau gelang noch keiner der Durchbruch.
Strategisch noch konsequenter als Wettbewerber wie Clifford Chance oder Linklaters und selbst die neu US-fusionierten A&O Shearman schickt Freshfields sich derzeit an, das Imperium der übermächtigen US-Kanzleien vor deren eigener Haustür herauszufordern. Das ist wirklich „bold“ – eine Herkulesaufgabe.
Für dieses Vorhaben hat die Kanzlei auch intern die Gewichte und Investitionen spürbar Richtung Westen und Welteroberung verschoben. Britisch-europäischer Champion war gestern. World Firm mit US-Powerbase dürfte die neue Vision sein.
Bei so einer World Firm a la Freshfields sprechen wir nicht von einem Weltpuzzle-Kanzleifranchise zur Verarbeitung von Massengeschäft. Sondern von einer Sozietät mit weltweit integrierter Partnerschaft, globalem Management, außergewöhnlich durchdachten Support- und Legal Tech-Strukturen. Und mit einer Phalanx heller Köpfe, die es traditionell und kollektiv zu den besonderen, den Premiumprojekten und -Deals in der Wirtschaft zieht. So wie damals, als Freshfields in einem spektakulären Einsatz für die Bundesregierung im Sog der globalen Finanzkrise 2008/09 quasi über Nacht die deutsche Finanzstabilität rettete.
Strategisch macht Freshfields also gerade mutige globale Schritte. Mit dem neuen Markenauftritt will die Kanzlei offenkundig ein dazu passendes mutiges, offensives Marketing schaffen. So wie damals, bei der wegweisenden britisch-deutsch-österreichischen Kanzleifusion vor 25 Jahren, als man sich der Welt selbstbewusst mit diesem Slogan vorstellte: „A history of thinking ahead“.
Wie wirkt der Refresh?
Freshfields kann also großes Denken und großen Auftritt. Warum dann fühlt sich der aktuelle Brand Refresh eher wie ein Sprung ins Dunkle an als ein mutiger Schritt? Wie ein unkontrollierter Befreiungsschlag gar, und überdies mit dem merkwürdigen Beiklang einer Portion britischen Brexit-Frusts?
Hier sind die Elemente des Freshfields Brand Refresh – kritisch betrachtet:
1. Die bisherige, im Markt wohl einzigartige Wort/Bild-Marke mit dem Logo des stilisierten Erzengels (Michael) und dem Schriftzug „Freshfields Bruckhaus Deringer“ wurde ersatzlos gestrichen. Der Engel ist verschwunden, ebenso die Namen Bruckhaus und Deringer der deutsch/österreichischen Fusionspartner von 2000.
Tatsache ist: Alle im Markt nennen Freshfields Bruckhaus Deringer nur „Freshfields“, auch in Deutschland und Österreich. Doch im US-Markt stören die sperrigen deutschen Namen wohl besonders schmerzhaft. Mit ihnen droht nun auch das bisher selbstbewusst gelebte und bewährte Freshfields-Credo, dass die kombinierte Vielfalt unterschiedlicher – hier: britisch-deutscher – Kulturen und Charaktere die Kanzlei besser gemacht hat.
Mit dem radikalen Cut beendet Freshfields nun jedenfalls abrupt eine interne politisch-kulturelle Diskussion, die bereits bei der letzten Marken-Auffrischung der Kanzlei im Jahr 2011 intern aus London losgetreten worden war. Zurück bleibt das Störgefühl eines gewissen politischen Ressentiments.
2. Der Engel, Wappenfigur der Gründerfamilie Freshfields vor bald 300 Jahren, war stets kanzleiintern Integrationsfigur und extern Sympathie- und Respektsträger. Diese Bildmarke verschwindet nach außen, soll jedoch intern weiter verwendet werden dürfen.
Ob die Wappenfigur für Mandanten aus anderen Kulturkreisen ernsthaft eine kulturelle Reizfigur war, wurde meines Wissens nie offiziell verifiziert. In der allgemeinen Wahrnehmung war der Freshfields-Engel längst keine Monstranz mit Missionsanspruch mehr, sondern abgemildert zu einem marktgängigen Sinnbild für Schutz und Inspiration. Dass er nun intern weiterleben darf, sagt viel über die weiter bestehende starke Akzeptanz. Doch die offenkundige Inkongruenz zwischen Innenwahrnehmung und Außendarstellung zwingt die Freshfields-Mitarbeitenden in einen mentalen Spagat. Für die Identifikation der treuesten der Treuen mit ihrer Firma bedeutet das nichts Gutes.
3. Der einzig verbleibende Name Freshfields wird, entkleidet aller historischen Tradition und Kontexte, zur bloßen Wortmarke mit englischem Klang.
Kann die solcherart entkernte und neutralisierte Basismarke ein besserer Türöffner zum Weltmarkt sein? Oder soll sie einfach nur kein Hindernis auf dem Weg dorthin bilden? Die Gedanken der Planungsgruppen dazu hätten mich interessiert.
4. Verstärkt wird der Eindruck einer neutralisierten Wortmarke Freshfields durch die neue serifenlose Schrift ohne jede grafische Raffinesse, deren extrem fette und zusätzlich in die Breite gezogenen Buchstaben die charaktervoll-dezente Typografie des bisherigen Schriftzugs vergessen machen.
Buchstäblich nichts im neuen grafischen Erscheinungsbild erinnert noch an das bisherige. Inspiration, Sympathie, gewachsene Werte und dezente Souveränität fehlen. Zugleich werden auch die gewünschten neuen Attribute wie „dynamic“ und „bold“ eher nicht mit dem neuen Schriftzug assoziiert. Der wurde stattdessen bereits als beliebig, aus der Zeit gefallen, gesichtslos und „bland“/öde beschrieben – jedenfalls nicht als beweglich-dynamisch und kraftvoll-mutig, sondern stark höchstens im Sinne eines ungeschmeidigen, wie aufgepumpten Bodybuilders. Ob sich Freshfields-Mitarbeiter mit diesem plötzlichen Muskelaufbau ihres Engels anfreunden können, lässt sich nur ahnen. Klar ist, dass sich zu dem noch immer klangvollen Namen „Freshfields“ sicher smartere Assoziationen hätten gestalten lassen.
5. Selbst das typisch-dezente Freshfields-Dunkelblau verschwindet komplett, aus dem Schriftzug wie von der Website. Ersetzt wird es durch den frontal ins Auge springenden Schwarz/Weiß-Kontrast der fetten schwarzen Schrift auf weißem Grund oder umgekehrt. Bei genauem Hinsehen indes entpuppt sich das „Weiß“ als helle Sandfarbe, die auch den flächigen Hintergrund der neuen Webseiten bildet.
Diese Sandfarbe im Auftritt mutet merkwürdig an – und verursacht einen auffallenden visuellen Widerspruch im neuen Freshfields-Markenauftritt. Der soll „bold“ sein – doch sandfarben wirkt bekanntlich freundlich, warm, hell (und nicht grell). Jedenfalls alles andere als kräftig, stark, mutig.
6. Auch von der Website wurde jede Erinnerung an ein beruhigend-souveränes Freshfields-Dunkelblau verbannt. Dabei hatte Freshfields es zuletzt besonders gut verstanden, dieses an sich wenig aufregende Firmen-Blau im Web als prägenden visuellen Anker zu gestalten. Blau war auf der Homepage omnipräsent in all seinen Schattierungen, offen-raumgreifend als ansprechende und lesefreundliche Hintergrundfarbe. Vor diesen edel wirkenden blauen Lichtdesign-Räumen machten sich die weißen Headlines in sehr klarer serifenloser Schrift ebenso gut wie die leuchtend gelben komplementären Design-Elemente.
Das Web-Design der neuen Freshfields-Seite erscheint dagegen kantig, flächig, eindimensional. Die Formen wirken grob, die Farben deplatziert. Die abstrakt-blauen Lichträume sind farbigen Kästen und uninspirierten Symbolfotos gewichen. Diese Fotos sollen auf Kanzleiwebsites greifbare Bilderwelten zu den oft abstrakten Themen schaffen. Hier wirken sie austauschbar. Die Farben der Headline-Textkästen greifen Detailfarben aus den Fotos auf – doch die entstehenden Grüns, Rots oder Mauves kommunizieren weder mit dem schwarz-weißen Logo noch mit dem sandfarbenen Hintergrund.
Und hier kommt ein zweiter augenfälliger Widerspruch im neuen Freshfields-Design zwischen intendierter und erzielter Botschaft: Die Headline-Schriften im Web sind – im Gegensatz zu bisher – neuerdings Serifenschriften! Sie wirken also eher dezent zurückgenommen – doch gerade ein markiger neuer Satz wie „Make bold moves“ im neuen Freshfields-Auftritt wirkt in der neuen Serifenschrift eben nicht bold. Merke: „Bold moves“ brauchen starke Botschaften in klarer, offensiv wirkender Typografie.
Gelingt Freshfields der neue Move?
Freshfields spricht von einem bloßen Brand Refresh – und vollzieht statt dessen eine Branding-Kehrtwende, eine Revolution. Es liegt in der Natur von Revolutionen, dass sie mit Traditionen brechen. So wie Freshfields hier mit einem harten Schnitt im Marktauftritt bislang zentrale mit der Kanzlei assoziierte kulturelle Besonderheiten verabschiedet. Einem neuen Marktauftritt, dessen Tonalität wenig smart und souverän, dafür grob und angeberisch wirkt? Dessen Design merkwürdige Widersprüche enthält und ratlos machende Signale in die Märkte sendet?
Meine persönliche Antwort darauf hatte ich früh parat und bleibe dabei: Wer kann, der kann. Freshfields hat es immer gekonnt. In meiner Erinnerung hat die Firma unterm Strich in ihren Märkten und mit ihren Herausforderungen immer kollektiv besonders klug geplant und smart gehandelt (das schließt für mich auch den #Cum/Ex-Skandal ein).
Freshfields, das ist meine Erfahrung und Überzeugung, kann Stil und Markterfolg besser als die allermeisten anderen Kanzleien. Nach Art einer sich dauernd selbst verbessernden Organisation und Top-Leuten und mit dem Grundsatz: „When I am the smartest person in the room, I am in the wrong room.“ Eine solche Kanzleikultur ist in sich stets gleichermaßen selbstbewusst wie selbstkritisch, und sie wird damit immer erfolgreich sein. (Bis irgendwann alle im Raum sagen: Wir sind einfach die Smartesten. Der Fluch des Erfolges.)
Freshfields zufolge hat ein internes advisory board mit Partnern aus allen Teilen der Sozietät zusammen mit der beauftragten Markenagentur den Brand Refresh begleitet und am Ende auch gut geheißen. Wir sollten also eine echte Freshfields-Lösung vor uns haben. Es wird spannend sein zu erleben, wie diese Lösung mit kurzem Namen, bulligem Schriftzug und kantigem Design längerfristig funktioniert – intern wie extern! Und ob sie die ehrgeizige Weltstrategie dieser Firma beim Pitchen, im Marketing, beim Recruitment so kraftvoll unterstützen und mit spannendem Leben erfüllen kann wie angestrebt.
By the way: EGAL – wie von einigen Beobachtern schon nonchalant abgewunken – ist der Freshfields-Marketing-Move jedenfalls nicht. Die neue Marke ist das selbst gewählte neue Gesicht der Kanzlei – und als solches hoffentlich mehr als irgendein beliebiger (Achtung Wortspiel) Design-Topf. Wir werden sehen, wie er ankommt und wirkt, der neue Freshfields-Brand.