Kreativität vs. Lautsprecherei
Wem kommen diese Marketing-Blasen im Rechtsmarkt nicht bekannt vor:
Viele Kanzleien zählen ausweislich ihrer Websites „zu den führenden“ und sind „unabhängig“, beraten Mandanten „mit Exzellenz“ und „auf höchstem Niveau“, „mit Leidenschaft und Engagement“ oder „spezialisiert und persönlich“, stets „lösungsorientiert“ und natürlich: „auf Augenhöhe“.
Das geht auf Englisch sogar noch besser: Da ist man „one of the world’s leading global law firms“ oder „the merger of excellence and grit [i.e. Schneid]“, der mit „innovative thinkers“, „client service leaders“ und „champions of inclusion“ an Bord „the highest quality legal advice coupled with extraordinary, tailored service to deliver exceptional results“ bietet.
Will man die sendungsbewussten Urheber solcher Werbegewitter wirklich persönlich kennenlernen und als Berater um sich wissen?
Als Marketer im Kanzleimarkt ist mir solcher Marketing-Übereifer mit entsprechenden verbalen Exzellenz-Exzessen natürlich nicht unbekannt. Viel hilft viel – das muss doch auch im Kanzleimarketing wirken? Doch genau und gerade im Anwaltsmarkt, davon bin ich überzeugt, verfehlen solche Marketing-Exzesse den angestrebten Wow-Effekt. Vertrauen erreicht man nicht mit Lautstärke, und nicht mit Behauptungen. „Wenn jemand von sich sagt, er berate auf Augenhöhe, dann tut er für mein Gefühl genau das nicht“, sagte kürzlich ein Partner lapidar. „Das erinnert mich eher an kleine Kinder, die stolz verkünden, auch schon groß zu sein.“
Der Grund, warum ich mir dennoch nie ein anwaltliches Werbeverbot unseligen Gedenkens zurückwünschen würde, sind vor allem jene Kanzleien, die mit dem gegenteiligen Extrem solcher Marketing-Druckbetankung kokettieren, sozusagen als Marketing gewordene Kommunikationsverweigerung. Ihr immer merkwürdig hölzern anmutender Webauftritt wurde diesen Kanzleien gefühlt aufgezwungen, und aus Rache verweigern sie jeglichen Hinweis in Wort und Bild, warum es sie überhaupt gibt und ob sie die Welt ihrer Mandanten in irgendeiner Weise zur Kenntnis nehmen.
Nun ist heute bekannt, dass Kanzleien a) kommunizieren müssen, um ihren Teil vom Markt und vom Nachwuchs zu gewinnen. Und dass b) wir nicht nur nicht NICHT kommunizieren können, sondern dass dies besonders für Anwalts-Partnerschaften gilt, bei denen es immer und überall ganz persönlich und direkt wird.
Auch was ich zu zeigen verweigere – oder was ich mit lautem, rituellem Selbstlob behaupte –, spricht zu anderen für oder gegen, auf jeden Fall über mich.
Mein Votum für gelingende Kanzleiauftritte ist ein dritter Weg zwischen solchen Extremen – die Kunst des souveränen Zeigens. Genau wie gute Anwälte ihre Arbeit mit Kreativität und Emotion erfüllen, aber mit selbstbewusster Zurückhaltung ausüben, so gestalten wir am liebsten Websites. Im Herzen des Kanzleiauftritts sollte man die Kreativität und Emotionalität der Rechtsberater einer Kanzlei spüren können, die ihr Job gemeinsam erfüllt und die in ihrer fachlichen Expertise als menschlicher Faktor immer mitschwingt. Idealerweise gelingt es im Kanzleimarketing, solche persönlichen Signale zu setzen, ohne sie aussprechen zu müssen. Dazu dient eine kommunikative Zwischenebene bildlicher oder textlicher Kunstformen wie Fotos und Videos, Metaphern, Allegorien oder Symbole. Diese kreative kommunikative Zwischenebene spricht eine ebenso subtile wie mächtige Sprache.
Diese Sprache kann genau die Empathie, Souveränität, Klasse und Vertrauenswürdigkeit zum Ausdruck bringen, die man als Kanzlei unbedingt vermitteln will – und die man als Zielgruppe von Marketing so ungern direkt „in your face“ und um die Ohren gehauen bekommt. „Man spürt die Absicht und ist verstimmt“, ist (mit Goethe) die unwillkürliche Reaktion in solchen Fällen.
Wenn man als Kanzlei mit seiner Marketingbotschaft wirkt, ohne dass der Empfänger die Absicht dahinter spürt – dann ist es gute Werbung.